Donnerstag, 22. Juli 2010

Ihla Grande, Fussball, der Brasilianer an sich...


Endlich finde ich wieder Zeit zum Schreiben (oder besser gesagt Lust). Da ich jeden Tag 8-9h vor dem Rechner sitze und Berichte, Emails, Angebote usw. schreibe, habe ich meist keine Lust mehr dies auch in meiner Freizeit zu tun.

Ihla Grande
Vorletzte Woche hatten wir einen der zahlreichen Feiertage hier in Brasilien. (Falls ein Feiertag mal auf das Wochenende fällt, wird der Feiertag einfach auf den Freitag vorgezogen oder am Montag "nachgefeiert".) Noch besser ist es (wie vorletzte Woche), wenn der Feiertag Donnerstag ist - dann gibts einfach den Freitag auch noch frei :) Eine wunderbare Arbeitsmoral hat dieses Land... So kam es, dass ich die insgesamt vier freien Tage nutzte um mit einer Freundin zur Ihla Grande (große Insel) zu fahren. Im Lonely Planet wird die Insel als Paradies bezeichnet - für Brasilianer ist es einfach nur die Gringo-Insel, da dort alle Amis, Europäer und Australier unbedingt hinwollen. Die Insel ist aber in der Tat wunderschön. Tolle Strände, viel Dschungel und kein einziges Auto, da es nur Pfade über die Insel gibt. Im Endeffekt braucht man wohl um die 3-4 Tage um einmal um die Insel zu wandern. An diesem Wochenende blieb es nur bei einem kurzen Wanderausflug zum Wohl schönsten Strand. Zurückkommen werde ich aber wohl auf jeden Fall. (Obwohl ich mittlerweile festgestellt habe, dass mich auch der unberührteste Dschungel und der beste Strand einfach nicht mehr so reizen wie noch vor 6 Monaten...) Ein weiterer Höhepunkt war das Festa da Julhia - das Pendant zum Weihnachtsmarkt in Deutschland. Hier gibt es zwar weniger Achterbahnen und Karussels, dafür aber Leckereien und Cocktails aus ganz Brasilien. Dazu wird natürlich Forro (ausgesprochen: "Forho") getanzt, neben Samba der Tanz für die Brasilianer. Sehr witzig ist auch die Namensgebung für Forro. Die Musik hat sowohl den Einheimischen als auch den vielen Immigranten gefallen und man konnte dazu super tanzen. Da die Brasilianer große Probleme mit der englischen Aussprache haben, wurde aus dem eigentlichen englischen Namen: "for all" (für alle) einfach "Forho".





Fussball
Letzten Sonntag habe ich dann die Gelegenheit genutzt und habe mir eins der 4 oder 5 Erstliga-Teams von Sao Paulo angeguckt (nicht so wie Berlin...). Corinthians (Team aus Sao Paulo) ist Tabellenerster und hat gegen den 14ten der Liga gespielt. Dies war leider eine enttäuschende Erfahrung. Das lag zum einen an dem grottenschlechten Kick, der wenn überhaupt Drittliga-Niveau hatte, zum anderen lag es an den Fans. Hier in Brasilien, wo Fussball soviel zählt, kommt im Stadion kaum richtige Stimmung auf. Es gibt kaum Fangesänge oder Fan-Koreografien und selbst nach dem Sieg gehen die Spieler nicht einmal in die Fankurve um sich zu bedanken, geschweige denn eine Stadionrunde zu drehen. Auch bei der Weltmeisterschaft hatte ich schon mitbekommen, dass wenn es gut läuft und das eigene Team 2:0 führt, dann rasten alle aus und es gibt eine große Party. Doch wenn das eigene Team zurückliegt (sogar 30 Minuten vor Ende) , dann ist alles schlecht - niemand feuert die eigene Mannschaft mehr an - man verliert den Glauben, dass man das Spiel noch drehen kann. So verliessen die Fans des Gegners schon in der 75min ihre Plätze bevor das Spiel überhaupt entschieden war. Schön war dagegen, dass ich Roberto Carlos live gesehen hab (den anderen Spielern weit überlegen, obwohl er schon gefühlte 60 Jahre alt ist) und sogar Ronaldo (ja, der richtige mit den meisten WM-Toren aller Zeiten) spielt für Corinthians - leider war er aber verletzt. Dummerweise habe ich keine Kamera dabei gehabt, weil meine brasilianischen Arbeitskollegen meinten, dass es verrückt wäre als Gringo dort hinzugehen. Im Endeffekt war es aber total harmlos und ich werde mir auf jeden Fall nochmal ein Spiel ansehen.

der Brasilianer an sich...
Nach nun fast 2,5 Monaten in Brasilien sind mir viele kulturrelle Unterschiede zwischen Brasilianern und Deutschen aufgefallen. Natürlich trifft das Folgende nicht auf alle Brasilianer zu aber meiner Erfahrung nach auf die Mehrheit. Dies ist wahrscheinlich der schwierigste Abschnitt den ich in meinem Blog bisher geschrieben habe. Denn es fallen einem am Anfang schnell viele negative Unterschiede auf, da man an andere Verhaltensweisen gewöhnt ist. Es dabei zu belassen, wäre allerdings oberflächlich und daher ziemlich ungerecht. Nach einer Weile gewöhnt man sich an diese Unterschiede und findet manche Verhaltensweisen sogar besser als die bei uns gängigen. Aber nun konkretes:

Im Allgemeinen sind Brasilianer sehr hygenische Menschen: 2-3mal Duschen am Tag ist hier der Normalfall und auch das Zähneputzen findet mindestens (!) nach jeder Mahlzeit statt (also mind. 3 mal). Lletzteres finde ich eine gute Sache und habe es daher übernommen (sieht auch komsich aus, wenn nach dem Mittagessen alle Brasilianer sich die Zähneputzen und die Deutschen bleiben "ungepflegt" zurück).

Auf der anderen Seite gibt es viele subtile Verschiedenheiten, die man wirklich erst erlernen muss. Bei Verabredungen ist selbst bei einer Zusage nicht klar, dass die Person auch wirklich erscheint. Meistens sagen die Leute bei 2-3 Verabredungen zu, weil eine Absage als unhöflich angesehen wird. Ich habe beispielsweise schon mehrfach abends allein zu Haus gesessen, da ich fest davon ausging, dass ich mich mit einem Freund an dem Abend auch wirklich treffen werde.
Auch wenn man zu etwas eingeladen wird, ist nicht wirklich klar ob es ernst gemeint ist. Hier muss man ganz genau darauf achten, welche Worte gewählt werden und wie es gesagt wird.

Früher habe ich solche kulturellen Unterschiede nie wirklich geachtet. Wenn man sich jedoch in dem fremden Land befindet und zwar die Worte des Anderen versteht, aber nicht interpretieren kann, was er wirklich sagen will, dann kommt man sich ziemlich hilflos vor. In Kanada wusste ich, dass wie in ganz Nordamerika, einfach alles etwas oberflächlicher ist und konnte mich darauf einstellen. In Brasilien gibt es größere und vielschichtigere Unterschiede. Nichtsdestotrotz lernt man nach ein paar Fehltritten jedoch wie man eine Sache angehen muss, damit es auch hier klappt.

Sehr schön finde ich mittlerweile die Höflichkeit in Brasilien. Schon allein das man am Anfang auch einen total Unbekannten nach der Begrüßung fragt wie es ihm geht, ist eine angenehme Sache. Am Anfang war es für mich die gleiche Oberflächlichkeit wie in Nordamerika, denn im Endeffekt ist man ja gar nicht am Wohlbefinden des Anderen interessiert. Dennoch schafft es eine positivere Atmosphäre und man überwindet somit eine gewisse Distanz zum Gesprächspartner. Dennoch passiert es mir relativ häufig, dass ich unhöflich bin. Darauf weisen mich meine Kollegen hin, wenn ich zum Beispiel sagen: "Kannst du das mal für mich machen?" - ein einfacher Satz den man einfach so salopp daher sagt. In Brasilien wird das als Befehl aufgefasst. Angemessen wäre: "Könntest du mir bei diesem oder jenem bitte helfen?". Und das selbst bei Kleinigkeiten...

Darüber hinaus sind die Brasilianer sehr konflikt scheu. Wenn man über eine Sache diskutiert und es sich abzeichnet, dass man nicht die gleiche Meinung hat, dann wird das Thema einfach schnell gewechselt und das Problem/Thema bleibt ungeklärt. Das ist super in einer Verhandelung, da jeder sein Gesicht wahrt aber schlecht, wenn ein Problem wirklich gelöst werden muss. Des Weiteren ist es normal, dass der Chef überschwänglich Lob verteilt. Von Kritik erfährt man nur über Dritte oder wenn man ganz genau zwischen den Zeilen liest. Selbstkritik existiert nicht - selbst bei offensichtlichen Fehlern ist es nicht üblich diese zuzugeben.

Eine andere Eigenschaft ist, dass Brasilianer unglaublich gern reden. Auch wenn sie zu einem Thema keine Ahnung haben, wird erst einmal drauf losgeredet und am Ende dann gesagt: "Ja, eigentlich weiß ich das gar nicht so genau. Frag da nochmal jemand anderen!" Auch bei den unwichtigsten Dingen (z.B. wie ein Bild im Büro aufgehängt wird) wird alles stehen und liegen gelassen und jeder muss seine Meinung ausführlich äußern. Die gute Seite an dieser Eigenschaft ist, dass Brasilianer extrem hilfsbereit und immer freundlich sind. Man hat schon Schwierigkeiten einen Brasilianer zufinden, der sich keine Zeit nimmt um bei einem Problem weiterzuhelfen.

Wahrscheinlich werden mir in den nächsten Monaten noch weitere Sachen auffallen, andere werde ich wohl revidieren müssen. Nichtsdestotrotz habe ich mich in meinem ganzen Leben vorher noch nie so deutsch gefühlt, wie in diesen Monaten...

Einen schönen Gruß in die warme Heimat!