Montag, 30. August 2010

Das Hinterland und Rio de Janeiro

Nach nun mehr als einen Monat komme ich doch mal wieder zur Aktualisierung des Blogs und es gibt wie immer viel zu berichten. Zu nächst jedoch erst einmal vielen Dank für die zahlreichen Geburtstagsglückwünsche! In solchen Momenten bekommt man dann doch ein bisschen Heimweh und wünscht sich seine Liebsten zu sehen - aber zum Glück hat man ja nicht jeden Tag Geburtstag ;) Nun der Reihe nach:

Vor ungefähr 3 Wochen habe ich zum ersten Mal einen Ausflug ins Innenland von Brasilien unternommen. Die Bewohnerin meines Nachbarappartments hat mich spontan eingeladen ihre Familie mitzubesuchen. Ein Ausflug der sich wirklich gelohnt hat, da es mein Bild von Brasilien doch etwas verändert hat. Wenn man in Sao Paulo lebt, bekommt man den Eindruck, dass Brasilien ein mehr oder weniger armer Industriestaat ist. Fährt man jedoch hinaus ins unterentwickelte Innenland, kommt man sich wie in der Drittenwelt vor. Die Familie, die ich besuchte, lebt in einem kleinen 8000 Einwohner-Dorf im Bundesstaat Minas Gerais. Der Name kommt von den Gold-, Diamanten- und Eisenerz-Minen, diese Landschaften einst sehr begehrenswert machte. Dieser Häuser hier bestehen aus Holz und Lehm. Wenn nachts die Temperatur auf 5°C sinkt (es ist Winter), dann ist das zugleich auch die Zimmertemperatur. Internet gibt es im Umkreis von hundert Kilometer nicht und Handynetze stehen auch keine zur Verfügung. Supermärkte sind relativ weit entfernt, so dass man das meiste Essen von benachbarten Bauernhöfen kauft. Trotz oder gerade wegen dieser Umstände sind die Leute sehr offenherzig und neugierig. Die meisten haben nie in einer anderen Stadt gelebt oder sogar nie ihren Bundesstaat verlassen. Wenn man nur wenige Mal im Jahr hierher kommt, ist es üblich jeden Verwandten und jedem Freund einen Besuch abzustatten. Bei jedem dieser (9!) Besuche (innerhalb von 2 Tagen) war ich mit dabei und konnte so vom 2jährigen Patenkind bis zur 85jährigen Großmutter jeden kennenlernen. Kein Haus konnte verlassen werden, bevor man nicht eine Kleinigkeit gegessen oder ein Bier bzw. Kaffee getrunken hatte. Auf dem Dorffest am Freitag und dem nächst größeren Dorffest im Nachbarort am Samstag war ich leider der einzige Gringo, was dementsprechend für unangenehm viel Aufmerksamkeit gesorgt hat. Man braucht sich darauf auch nichts einzubilden, da man ohnehin nur auf die blonden Haare und blauen Augen reduziert wird. Sonntag stand dann der letzte Besuch bei den Großeltern auf dem Programm. Diese besitzen einen großen Bauernhof mit Kaffee- und Obstplantage, Hühnern, Pferden, Rindern usw. Zu Mittag aß man im großen Gemeinschaftsraum mit den Kindern, fernen Verwandten, 4 Landarbeitern und 2 Hunden. Danach bekam ich noch erklärt und gezeigt, wie der Kaffee hier traditionell hergestellt und verarbeitet wird. Sprachlich erwies sich der Ausflug als unerwartet große Hürde. Der Akzent ist so unglaublich unterschiedlich zu Sao Paulo, dass ich so gut wie nichts verstanden hab. Dadurch entstand die komische Situation, dass ich mit meiner Nachbarin portugiesisch gesprochen hab(kann fast kein englisch) und sie meine Worte in deren portugiesisch wiedergegeben hat. Umkehrt hat es genauso funktioniert: es wurde mit ihr portugiesisch gesprochen und sie hat es für mich in "hochportugiesisch" übersetzt. Zum Teil lag es am Akzent und zum anderen Teil auch daran, dass die älteren Leute sich einfach nicht vorstellen konnten, was ich meinte, wenn ich nicht den für sie gewohnten Satzbau oder die absolut richtige Wortwahl benutzt hat. Nichtsdestotrotz war der Ausflug ein unglaublicher
Erkenntnisgewinn!


Meinen Geburtstag habe ich dann in Rio de Janeiro verbracht - es ist zwar sehr klischeehaft, aber ich musste einfach an diesem Tag an der Copacabana sitzen und einen frischen Caipirinha am Strand trinken. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht so richtig etwas mit dieser Stadt anzufangen. Auf der einen Seite ist sie die weltbekannte Traumstadt mit schönen Stränden in mitten dichtbewachsener Berge. Sie wirkt trotz der 11Mio. Einwohner sehr lässig und entspant und es gibt tolle restaurierte Gebäude aus der Kolonialzeit. Auf der anderen Seite ist die Stadt einfach nur ein typischer und vorallem überteuerter Touristenort, der mit 20 stöckigen Häusern bis an den Strand zu gepflastert wurde. Wenn man ein paar andere Orte in Brasilien kennt, ist Rio immer noch etwas einzigartiges, dennoch weiß man, dass man nicht unbedingt hier den Großteil seiner Zeit verbringen muss. Im Endeffekt war ich auch nur 2,5 Tage in Rio, was zu wenig für diese Stadt ist. Ich werde hier noch einmal zurückkehren, um mir dann ein besseres Bild zu machen.






Zum Schluss noch ein paar Eigenarten aus Sao Paulo. Dadurch das die Post hier sehr unzuverlässig und der Verkehr in der Stadt einfach die Hölle ist (praktisch 24h Stau am Tag), werden dringende Briefe, kleine Pakete oder ähnliches gern mit einem Kurier (Motorboys gegannt) von Ort zu Ort transportiert. Diese menschlichen Eintagsfliegen verdienen nur Geld, wenn sie ihre Fracht möglichst schnell an den Bestimmungsort bringen. Das führt dazu, dass Verkehrsregeln (die ohnehin eher als Orientierung denn als Vorschrift gelten) für sie keine Gültigkeit haben. Jede Ampel wird bei Möglichkeit bei rot überfahren, die Fußgänger (welche zu der Zeit ja grün haben), werden als menschliche Slalom-Stangen missbraucht und Tempo wird allein von der Motorleistung begrenzt- das, dass nicht immer gut geht, kann man sich denken und so sterben jeden Tag ein paar dieser Spezies und noch mehr verletzten sich bei den häufig von ihnen selbst verursachtenVerkehrunfällen. Wenn diese Motorboys gerade keine Aufträge haben, wird sich gern ein kleines Zubrot durch Handtaschendiebstahl an ahnungslosen Fußgängern hinzuverdient - es ist wirklich schlimm, zu was die Menschen durch Armut getrieben werden.

Zum Abschied noch 2 erfreuliche bzw. erstaunliche Sachen:

1. Habe ich erfahren, dass allein der Bezirk in dem ich wohne mit über 3 Millionen so viel Einwohner hat, wie meine Stadt Berlin - wenn das mal keine Heimatgefühle aufkommen lässt...

2. Habe ich meine Liste der komischen portugiesischen Wörter erweitert: auf Platz 3: mein zweiter Vorname Einiricky (Heinrich), Platz 2: Picki-nicky (Picknick) und auf Platz 1: Autschilucky (das E-Mailprogramm Outlook)

Demnächst werde ich mit 4 Freunden auf die Ilhabela ("schöne Insel") fahren. Dort gibt es Urwald, schöne Sträne und über 100 Wasserfälle - ein Bericht folgt.

Beste Grüße euer Mautschi Einiricky