Donnerstag, 9. September 2010

von der schönen Insel, Geld, Bildung und Politik

Ilhabela (schöne Insel)

Vor zwei Wochen habe ich meinen allmonatlichen Ausflug gemacht. Diesmal ging es mit 4 Freunden von der AHK zur Ilhabela - eine langezogene und von Regenwald überwucherte Insel mit über 360 Wasserfällen und schönen Stränden. Leider bestätigte sich der Wetterbericht und so hatten wir nur am ersten Tag schönes Wetter, das wir auch nutzten um am Strand zu entspannen und zu kleinen Inseln zu schwimmen, die in der Nähe des Strandes lagen. An den darauf folgendem Tag wanderten wir entlang eines Flusses durch den dichten Urwald und entdeckten kleine Wasserfälle und natürliche Rutschen. Diese Rutschen muss man sich so vorstellen, dass der Fluss eine massive Steinplatte, durch sein führendes Wasser, glatt geschliffen hat. An den abschüssigen Stellen kann man dann bis ins nächste Wasserbecken hinunter rutschen - blaue Flecke mit inbegriffen. Der Abschluss der Reise (und gleichzeitig der Höhepunkt) war eine Fahrradtour zur anderen Seite der Insel. Die Insel wird in der Mitte von einer schmalen Gebirgskette durchzogen, die für diese kleine Insel auf beachtliche 1300m anwächst. Wir mussten bei unserer Überquerung somit 700 Höhenmeter auf einer Strecke von 10km von der Küste bis zur Bergspitze zurücklegen - mit anderen Worten: es war extrem steil und dadurch sehr Kräfte raubend. Je höher wir kamen, desto mehr nahm der Nebel zu, der Regen wurde stärker und die Temperatur fiel ab. Nach 2,5h stetig bergauf erreichten wir völlig erschöpft den Gipfel und wollten auf der anderen Seite dann (genauso steil) wieder bergab fahren. Jedoch merkten wir nach 15min, dass die Bremsen immer loser wurden und meine Bremsbacken sich sogar auflösten. Die Vermieterin der Fahrräder hatte uns darauf hingewiesen, dass die Räder nicht für die Berge ausreichend sind, was wir aber großzügig ignoriert hatten. So kam es, dass wir kurz nach dem Gipfel bereits umdrehen mussten und wieder zurückfuhren. Der Weg hatte sich inzwischen durch den Regen in einen kleinen Bach beziehungsweise in eine Matschrutsche (gespickt mit scharfkantigen Steinen) verwandelt. Nichtsdestotrotz kamen wir alle gesund und völlig kaputt in unserem kleinen Dorf an und gerade durch diese widrigen Umstände war es eine wunderbare Drecksschlacht!




Um den Lesern dieses Blogs einen besseren Eindruck von diesem Land zu verschaffen, habe ich mir vorgenommen, neben meinen persönlichen Erlebnissen (oder verknüpft mit diesen) auch ein bisschen auf die politischen und wirtschaftlichen Umstände einzugehen:

Geld in Sao Paulo
Neben der bloßen Größe der Stadt Sao Paulo (größte Stadt der Südhalbkugel) ist auch die Wirtschaftleistung von Sao Paulo beeindruckend, denn die Stadt ist DIE Wirtschaftsmetropole in Lateinamerika - dementsprechend gibt es viele wirklich wirklich Reiche hier. Diesen vielen Reichen stehen aber verhältnissmäßig noch viel mehr wirklich wirklich Arme gegenüber - eine Mittelschicht, wie wir sie in Deutschland haben, ist fast nicht vorhanden.

Ein bedeutender Teil der Reichen haben deutsche Vorfahren und so kommt es auch, dass die besten Schulen von Sao Paulo (also auch des ganzen Landes) deutsche Privatschulen sind (dazu mehr im Teil Bildung). Die brasilianischen Mitpraktikanten gehören ausnahmslos zu der reichen Oberschicht an. Sie bekommen fast keine Bezahlung für ihr Praktikum, was eigentlich auch egal ist, da es mehr um den Namen der Deutschen Auslandshandelskammer im Lebenslauf geht als um etwas anderes. Einige müssten ohnehin in ihrem Leben nicht arbeiten, da die Eltern bereits genug Geld für sich, die Kinder und die Kindeskinder verdient haben. Wie fremd diese Welt ist, bemerke ich, wenn sie erzählen, dass ihre Eltern (im Vorstand von internationalen Unternehmen) Anti-Kidnapping-Trainings bekommen (brauchten meine Eltern bisher noch nicht - zum Glück). Oder wusstet ihr, dass man die Rücklichter von einem Auto liegend aus dem Kofferraum heraus kaputttreten kann um die Polizei auf sich aufmerksam zu machen? Darüber hinaus wird man ungläubig angesehen, wenn man einen Monatsverdienst von umgerechnet 10.000 Euro für ein "ordentliches" Gehalt hält :) Im Endeffekt ist es auch eine ganz interessante Sache, da man einen Einblick in eine total andere Welt erhält. Allerdings beschränkt es auch die gemeinsame Freizeit. Da die Eltern (den 23 jährigen!) oft verbieten mit dem normalen Bus zu fahren oder sich abends auf ein Bier zu treffen (beides zu gefährlich). Falls dann doch mal "Freigang" erteilt wird, unterscheiden sich die Preisvorstellungen bei der Abendplanung soweit, dass wir armen Deutschen dann doch zwangsweise etwas anderes machen müssen.

Zu dem ist diese reiche Schicht oft auch eine geschlossene Schicht, die in eingezäunten, ummauerten und überwachten Wohnvierteln wohnt. Man schottet sich ab und verteidigt seinen Status wo es geht, dadurch kommen auch Eintrittspreise in Clubs von über 100 Euro (keine Ausnahme) zustande - da bleibe ich gern abends zuhaus. Außerdem ist Schein hier immer wichtiger als Sein: Jeder halbwegs gutverdienende Brasilianer kauft sich zu erst ein dickes Auto (kostet das 2,5 fache des Preises in Deutschland) und viel später kommt dann z.B. die eigene Wohnung - letzteres sieht ja nicht jeder gleich. Viele Wohnungen, die ich bisher gesehen habe, sehen im Vergleich zu unseren daheim wirklich lieblos aus. Dennoch kann man diese Statussicherung den Leuten kaum vorwerfen. Täglich sieht man Leute, die auf der Straße einfach herumliegen - hunderte von Obdachlosen und Bettlern. Das dorthin niemand zurück will, ist verständlich. Eine soziale Absicherund gibt es in diesem Land (noch) nicht.

Bildung
Wie oben schon erwähnt, sind die besten Schulen des Landes 4 deutschsprachige Privatschulen (1 Schweizer und 3 Deutsche). Die Eltern zahlen mehr als tausend Euro(!) im Monat um ihren Kindern die beste Ausbildung zu ermöglichen. Deutsche Lehrer unterrichten an diesen Schulen und sogar die deutschen Abiturprüfungen werden absolviert und in Deutschland korrigiert. In normalen staatlichen Schulen ist die Ausbildung wohl katastrophal. Der englisch Unterricht besteht in einigen Fällen daraus in einem Text Wörter zu unterstreichen, die man kennt - ein Unterfangen, das bei den meisten nicht sehr lange dauert. Paradoxerweise dreht sich der Trend bei den Universitäten genau um. Hier sind die staatlichen Unis die besten und die privaten Unis die schlechten - das obwohl die staatlichen kostenlos sind. Erklären tut sich das Ganze durch die Aufnahmetest an den Unis. Nicht die Abschlussnote des Abiturs ist entscheidend, sondern die Punktzahl im Aufnahmetest. Die Kinder von staatlichen Schulen haben hier kaum eine Chance, da ihre Vorbildung so schlecht ist. Dementsprechend müssen sie nach ihrem Schulabschluss erst 2-3 Jahren arbeiten, um sich die Hochschule finanzieren zu können. Sie könnten allerdings auch die Vorbereitungskurse an den staatlichen Universitäten besuchen, allerdings kosten diese wiederum so viel, dass man auch gleich auf eine private Hochschule gehen kann. An dieser Stelle ist ersichtlich, wie unpopulär staatliche Investitionen in Bildung sind - denn das Resultat zeigt sich ja erst weit nach den nächsten Legislaturperiode.

Dennoch haben es auch unsere brasilianischen Praktikanten nicht leicht. Ihr Tagesablauf beinhaltet 8h Arbeit von 8-16Uhr und anschließend Universität (die findet immer abends statt) meist von 18-22 oder 23 Uhr. Dementsprechend ist hier kaum jemand vor 24 Uhr im Bett - nach einem 16h Tag. Wenn ich das mit meinem Studentenleben vergleiche, ist das doch eine ganz andere Liga...

Nun das letzte Thema: Präsidentschaftswahlen
Im Oktober wird hier ein neuer Präsident gewählt. Ein tolles Ereignis muss das doch sein bei einer Wahlbeteiligung von über 95% - so könnte man meinen. Jedoch ist es keines Falls so, dass Brasilianer politikbegeistert sind - das Gegenteil ist der Fall. Bei der Wahl hat man keine Wahl sondern die Pflicht zu wählen, andernfalls muss man Strafe zahlen. Eine weitere Maßnahme ist die Gleichschaltung aller Fernseh- und Radiosender - zu einer bestimmten Zeit werden alle Sendungen unterbrochen und es wird Wahlwerbung bzw. Politshows gezeigt. Auch so kann man das Volk zum Glück zwingen...

Das wars erst einmal wieder aus Brasilien. Selbst wenn sich dieser Eintrag überwiegend negativ liest, so finde ich es wichtig, sich auch kritisch mit dem Land in dem man vorübergehend lebt auseinanderzusetzen. Nichtsdestotrotz bleibt es ein unglaublich aufregendes, spannendes und vor allem sehenswertes Land!